Eindrücke
vom Kolloquium zur ‹SKA›.
Das
Kolloquium vom 23. April 2016, veranstaltet von der Akanthos-Akademie
Stuttgart war in seiner Intention äusserst verdienstvoll, der erarbeitete
Gehalt vielversprechend und sein Ergebnis vorläufig.
Die
Redner auf dem Kolloquium waren: Prof. Dr. Christian Clement, Prof. Dr.
Christoph Hueck, Prof. Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker, Frank Linde, Lorenzo
Ravagli, Dr. Renatus Ziegler.
Einleitung:
SKA – Zur Vorgeschichte
Der
Professor für German Studies an der Brigham Young Universität
Utah/US, Christian Clement hat 2013 mit der Herausgabe einer
kritischen Edition von Schriften Rudolf Steiners (SKA) begonnen. Diese Edition
stiess von Anfang auf Missverständnisse, da mindestens vier Interessengebiete in
buntester Mischung durcheinandergeworfen wurden: 1. Die Intention einer
philologischen und kritischen Untersuchung. – 2. Die akademische
Deutungsgrundlage in der Lesart von Christian Clement. – 3. Die
Erkenntniswissenschaft, inklusive Rudolf Steiners Beitrag zu dieser. – 4. Die
Repräsentanz der Anthroposophie durch die Form der Herausgabe von Rudolf
Steiners Werk.
Seitens
einiger Anthroposophen entstanden Missverständnisse dadurch, dass die SKA im
Rudolf Steiner Verlag beworben wurde, durch diesen in
Vertriebskooperation mit Clements Verlag (frommann-holzboog) erschien und damit
den Anschein einer durch die Herausgeber der Rudolf Steiner Gesamtausgabe
gleichsam autorisierten Ausgabe erweckte. Die Missverständnisse rührten teils
daher, dass die sachgemäss-adäquate Herausgabe von Rudolf Steiners Werken als
Aufgabe in den Statuten der Anthroposophischen Gesellschaft (Paragraph 8,
vgl. Ein Nachrichtenblatt, Nr.9/2016) vermerkt ist. Historisch bedingt,
und das wurde immer wieder vergessen, ging die Verantwortung für diese
Publikationen der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien
Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach jedoch längst an
den von ihr unabhängigen Rudolf Steiner Verlag über. – Das Anliegen einer
sachgemäss-adäquaten Herausgabe von Rudolf Steiners Werken im statutarischen
Sinne wurde durch Christian Clement nicht berührt, denn es liegt weder in seiner
Aufgabe noch in seiner Verantwortung; diese Aufgabe und Verantwortung sieht auch
der Rudolf Steiner Verlag nicht als seine Sache. Offenbar gibt es jedoch
innerhalb der Mitgliedschaft der Anthroposophischen Gesellschaft ein Interesse
daran, im statutarischen Sinne (oder im Sinne einer sachgemäss-adäquaten Form)
für Rudolf Steiner und sein Ansehen öffentlich einzutreten. – Die Intention
einer philologisch-kritischen Ausgabe wurde seitens von Anthroposophen unter der
angedeuteten Perspektive so missverstanden, dass die SKA eine Art autorisierte
Ausgabe sei, was nicht zutrifft. - Die Erkenntniswissenschaft mit dem Beitrag
Rudolf Steiners zu dieser und der akademische Deutungsanspruch von Christian
Clement waren Gegenstand des Kolloquiums und werden im nachfolgenden Bericht
behandelt.
Überblick
Das
Kolloquium stellte die Frage: «Die geistige Welt – Realität oder
Metapher?» Die eingeladenen Referenten sind für ihre sachbezogenen und dabei
durchaus unterschiedlichen Zugänge zur SKA hinreichend bekannt, sodass die
Erwartung aufkommen konnte, es werde nicht lediglich um individuelle Statements
gehen, sondern auch um Auseinandersetzung hinsichtlich der unterschiedlichen
Auffassungen und Beurteilungen von Sachthemen in und zur SKA.
Diese
Erwartung wurde fast auf der ganzen Linie enttäuscht. So wurden etwa die im
Vorfeld publizierten kritischen Untersuchungen Frank Lindes und Lorenzo Ravaglis
von Christian Clement kaum eines Wortes gewürdigt.
Auf
dem Kolloquium erhoben, das wurde deutlich, beide Standpunkte, der
anthroposophische und der akademische, den Anspruch Rudolf Steiner aus Rudolf
Steiner verstehen zu wollen. Hierzu war im Vorfeld das Verhältnis zwischen
Akademismus und Anthroposophie in deren je spezifischen
wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen nicht geklärt, aber auch als
gemeinsame Fragestellung nicht fokussiert, sodass das Kolloquium zu einem
lebhaft zwischen verschiedensten Grundannahmen fluktuierenden Gebilde wurde. Die
grundsätzliche Frage nach der erkenntniswissenschaftlichen Position des
Akademismus (Clementscher Prägung) einerseits und der Anthroposophie
andererseits und dem Verhältnis der beiden zueinander prägte jedoch untergründig
weite Teile des Kolloquiums und arbeitete sich nahe an die Oberfläche, sodass
eine Folgeveranstaltung wünschenswert wäre, welche diese Voraussetzungen, bzw.
deren Verhältnis klärt.
Meinungsvergleich
– ohne Wahrheit
Christian
Clement vertrat an diesem Kolloquium offen seine wissenschaftliche, aber
auch seine persönliche Grundhaltung gegenüber Rudolf Steiner. Eine seiner
Hauptaussagen war, wie bereits erwähnt: Rudolf Steiner aus Rudolf Steiner
selber heraus verstehen zu wollen. Ein Anliegen, das er überzeugend
vorbrachte. Die Art und Weise seiner Umsetzung charakterisierte er dabei
entschieden als: akademisch. Und den Akademismus vertrat er u.a. mit der
Aussage: es gehe nicht um Wahrheit und machte deutlich: in der
wissenschaftlichen Haltung des Akademismus gehe es darum, dass der eine Forscher
seine Meinung äussere, ein anderer Forscher ebenfalls seine (andere) Meinung
äussere, usw, dass diese Meinungen dann als Vorschläge zur Verfügung stehen
und es nicht um Wahrheit gehe, sondern um Weiterforschen an diesen
Vorschlägen, um Meinungsvergleich.
Wolf-Ulrich
Klünker – Stabübergabe der Wissenschaft an die Anthroposophie
Wolf-Ulrich
Klünker kennzeichnete zu Beginn das weiterentwickelte Denken als
prospektiv Wirklichkeit schaffend und vom Ich nicht zu trennen. Das Ich
(Subjekt) komme mit dem Objekt nah zusammen. – Die SKA deute das an.
Fast nur in diesem Zusammenhang nahm Klünker direkt und ausgesprochen Bezug
auf die SKA, sodass deren Verhältnis zum entwickelten Denken (Anthroposophie)
weitgehend unausgesprochen blieb. Er verortete sich sozusagen als
Vertreter der Auffassung von der Realität des Geistes, der den akademischen Wurf
der SKA im Sinne forschender Gesprächsbereitschaft und als Dialogbeitrag
würdigt. Fehler in der Darstellung, bzw. in der Darstellungsweise der SKA waren
für Klünker kein Thema. Der wissenschaftliche Disput dazu fand nicht statt,
jedenfalls nicht ausdrücklich. So leitete er seine Rede auch ein: er wolle
allgemein sprechen, nicht so sehr zur SKA. Das Motiv für dieses Vorgehen blieb
unausgesprochen.
Die
methodischen Unterschiede zwischen akademischer und anthroposophischer
Wissenschaft zeichnete Klünker dann unmissverständlich klar und
beherzt-entschieden. Die Anthroposophie sei geistesgeschichtlich nicht
isoliert, bei Rudolf Steiner bestehe kein Widerspruch zwischen Wissenschaft und
Geisteswissenschaft. Dieses Streben Rudolf Steiners sei nicht ganz verstanden
worden. Er machte auf den 2. Leitsatz aufmerksam, in welchem er eine
Stabübergabe der Wissenschaft an die Anthroposophie erblickt:
«Anthroposophie
vermittelt Erkenntnisse, die auf geistige Art gewonnen werden. Sie tut dies aber
nur deswegen, weil das tägliche Leben und die auf Sinneswahrnehmung und
Verstandestätigkeit gegründete Wissenschaft an eine Grenze des Lebensweges
führen, an der das seelische Menschendasein ersterben müßte, wenn es diese
Grenze nicht überschreiten könnte.»
Das
Ersterben des seelischen Lebens zeichnete Klünker sehr konkret anhand der
Überlegung, wie der moderne Wissenschaftsbegriff zu einem Begriff der Isolierung
des Ich gegenüber der Welt führt und dass die Verwirklichung dieser Überzeugung
einem im Phänomen des Autismus (auch seinen abgeschwächten Alltagsformen)
entgegentreten kann.
Künstliche
Trennung zwischen Geisteswissenschaft und Wissenschaft
Anthroposophie
sei daher eine objektive Weiterentwicklung der Wissenschaft, nicht etwas
Subjektives daneben. Klünker entwickelte diese Auffassung
erkenntniswissenschaftlich und wissenschaftshistorisch. Er ging so weit von
einer künstlichen Trennung zwischen Geisteswissenschaft (bzw. Esoterik) und
Wissenschaft im 19. Jahrhundert und von einem reduzierten Wissenschaftsbegriff
auch im 20. Jahrhundert zu sprechen.
Zugänge
zur erwähnten Weiterentwicklung des Denkens entfaltete Klünker dann in gewohnt
temporeicher und fundierter Art, stellte vorbereitende Zugänge zur
modern-anthroposophischen Denkentwicklung in der Geistesgeschichte dar
(Aristoteles, Johannes (Apokalypse), Johannes Scotus Eriugena, Albertus Magnus,
Thomas von Aquin, Hegel) und zeigte wo und wie Rudolf Steiners
geisteswissenschaftliche Technik sich als objektive Fortsetzung der
(akademischen) Wissenschaft versteht und wie sie im Individuum in ihrer freien
und eigenständigen Reproduktion ihre – so wesentliche wie notwendige –
Aktualität gewinnt.
Lorenzo
Ravagli – Das entwickelte Denken schafft Erscheinungs-bedingungen für die
eigenständige Geistwelt
Lorenzo
Ravagli ging in anderer Art ebenfalls direkt auf die aufgeworfene Frage nach
der Realität der Geistwelt zu. Er entwickelte den Begriff der Geistesforschung
hinsichtlich einer gegenüber dem Menschen unabhängigen, eigenständigen
Geistwelt. Rudolf Steiner habe technische Begriffe für diese Arbeitsweise des
Erkennens gebildet, - Imagination, Inspiration, Intuition, - welche Ravagli nun
differenziert aus beobachtendem Denken entwickelte. Er legte den Fokus auf die
Beschreibung und die Notwendigkeit der autonomen Betätigungsformen des Ich auf
jeder dieser Stufen und zeigte damit einen praktischen Zugang aus dem
gewöhnlichen in ein weiterentwickeltes Denken. Dieses würde sich in die Lage
versetzen, im imaginativen Denken Bedingungen zu schaffen (durch
selbsterzeugte Bildvorstellungen) in denen sich der Möglichkeit nach geistige
Wesen zum Ausdruck bringen können.
Christian
Clement sah in dem Beitrag Ravaglis eine Steiner-Scholastik, die nur
repetiert. Er sprach von einer Spaltung zwischen Auslegung und dem
wirklichen Denken der Anthroposophie [welches von ihm lediglich behauptend
vorausgesetzt wurde] und erblickte in Ravaglis Darstellung des
Gegenstandsbegriffes (der geistigen Tatsachen) einen Rückfall in den naiven
Standpunkt, wie ihn Steiner in der Philosophie der Freiheit doch
überwunden habe.
Ravagli
fragte, welchen Gegenstandsbegriff Clement denn hier zur Anwendung bringe –
worauf dieser nicht einging.
Christian
Clement – Verzicht auf den eigenen Vortrag
Christian
Clement eröffnete seinen Beitrag mit einer Überraschung: Der Verlag
(frommann-holzboog), habe verlauten lassen, der Titel seines Vortrags sei
nicht akademisch: Man gehe nicht auf die Kritik an Personen, sondern auf die
Kritik an der Sache – weswegen er, Clement, auf die geplante Vorgehensweise
verzichte. Eine Auseinandersetzung mit Ravagli und Linde zu deren Publikationen
kam jedoch auch in der Sache nicht zustande. Clement kommentiert die
Absage seines Vortrags mit der Bemerkung, er wolle nun sagen, was der Geist
ihm eingibt.
Zunächst
berichtete alsdann Clement offen, Rudolf Steiner sei für ihn
faszinierend, er sehe sich dabei in einer Zwitterstellung:
persönlich sei Steiner ihm sehr nah, sei einer seiner Meister –, er stehe
für ihn als solcher aber nicht höher als andere Meister, wie Aristoteles, Kant
usw. Biographisch habe ihm den Weg zur Anthroposophie das Verhalten vieler, bzw.
der meisten Anthroposophen verhindert, indem diese in Rudolf Steiner „den
Eingeweihten“ erblickten, den man nicht hinterfragt. Das habe auf ihn
abstossend gewirkt. Er könne sich in vielen Punkten als Anthroposoph sehen und
definiere sich selber als akademischen Steiner-Forscher. Seine
persönlich-biographische Absicht sei, einen Dialog zwischen Akademismus und
Anthroposophie zu ermöglichen. (Auf deren beiden Wissenschaftsauffassungen, und
die Frage nach deren Vermittelbarkeit, Identität usw. ging Clement nicht ein.) –
Lorenzo Ravagli bezeichnete die wissenschaftliche Haltung Clements als
methodologischen Agnostizismus, was letzterer wohl nicht bestätigte (das
Genauere dazu ist mir entfallen.)
In
der Aufnahme der SKA unter den Anthroposophen erlebt Clement die Haltung, er,
Clement, vertrete „die Steiner-Interpretation“. Er sagte von sich, er sei
in den Einleitungen zu den SKA-Bänden in die Interpretation gegangen, habe dabei
jedoch lediglich seine Meinung zum Ausdruck bringen wollen, habe sozusagen
„seinen Senf dazu gegeben“ und in diesem Vorgehen nichts
Problematisches gesehen.
Hingegen
schienen ihm, wie er erwähnte, die Anthroposophen nicht bereit zu sein, Steiner
genau so zu betrachten, wie man andere Denker, etwa Kant usw., betrachtet und er
fragte, ob das wirkliche Gespräch zwischen kompetenten Anthroposophen und
Akademikern nicht zustande komme, weil die Anthroposophen Steiner auf einer
höheren Warte sehen. Er fügte hinzu: würde er Klünker auf eine akademische
Konferenz einladen, so würde das nicht gehen, weil Klünker die Engel als
Realität sehe.
Weiter
stellte Clement die Frage: ist ein wirklicher Dialog möglich? Existieren
geistige Wesen? Um dann klarzustellen: er vertrete nicht seine [quasi objektive]
Position, sondern versuche subjektiv Steiner zu verstehen, wie jeder andere
Akademiker es mit seinem Forschungsgegenstand auch tue. Zum Beispiel der Begriff
der Imagination bei Rudolf Steiner: er erkläre nicht, wie Rudolf Steiner
es gemeint hat, sondern er erkläre seine, die clementsche, subjektive
Position.
Sein
Vorschlag beispielsweise für die Interpretation der Begriffe Imagination und
Inspiration bei Steiner sei: die imaginativen und inspirativen Erkenntnisse
repräsentieren etwas, nicht die Wirklichkeit. Er erlebe, es sei
eine skandalöse Anforderung an die Anthroposophen, zu fragen: ist die sinnliche
Welt nur da für unser Bewusstsein? Und zu sagen: die Wirklichkeit ist nur, wenn
erkannt wird – dies gelte aber auch noch nicht auf der Stufe der Imagination und
Inspiration. Erst auf der Stufe der Intuition sei der Gegenstand eins mit dem
Erkennenden.
Die
Frage: sind die Engel wirklich? sei mit Ja und mit Nein zu beantworten,
je nach Gesichtspunkt. Clement knüpfte daran nochmals die Frage, wie ein echter
Dialog zwischen Akademikern und Anthroposophen entstehen könne und konstatierte
demgegenüber inneranthroposophische Empfindlichkeiten. Aber auch
innerakademische Empfindlichkeiten. – Er, Clement, biete dazu eine
Deutung Steiners aus Sicht Steiners.
(An
dieser Stelle wurde deutlich, dass Clement „die Anthroposophen“ verallgemeinerte
und eine kompetent vertretene Anthroposophie von einer bloss angenommenen
Anthroposophie nicht unterscheiden konnte oder wollte – später, siehe unten,
konnte er dies.)
Auf
eine Teilnehmerfrage nach den konkreten akademischen Reaktionen auf die SKA
erwähnte Clement, dass es im Wesentlichen deren drei gegeben habe, von Helmut
Zander, Hartmut Traub und Ansgar Martins. Zander habe ihm
vorgeworfen, er sei mit seiner Darstellung zu nah an Steiner; Clement bestätigte
dies, er gehe von den Vorannahmen Steiners aus und fügte hinzu: aber ich kann
es rechtfertigen. – Martins bescheinige ihm eine Reform-Anthroposophie,
die Steiner vom Irrationalen gereinigt habe. Davon fühle er sich
geschmeichelt. – (Offenbar hat die gesamte akademische Welt für die SKA kein
Interesse. Lediglich unter denjenigen Akademikern, die sich ohnehin publizierend
mit der Anthroposophie beschäftigen, hatten gerade mal deren drei sich zu Wort
gemeldet hatten.)
Ein
weiterer Teilnehmer wies auf die Kritik, die Lorenzo Ravagli und Frank
Linde an der SKA vorgebracht haben und dass dazu keine Debatte stattfinde. –
Dem sei nicht so, antwortete Clement, denn Ravagli und Linde zeigten, wie
Steiner die Sache versteht, es sei keine akademische Debatte.
(Damit gab Clement indirekt das Mass vor, mit dem zu messen sei: der gewöhnliche
Akademismus; von einer in der Sache gegründeten Dialogbereitschaft mit
der Anthroposophie konnte an dieser Stelle keine Rede sein.)
Christian
Clement weiter: er greife niemanden an, er sei gar nicht beteiligt, Steiner
hingegen spreche von Gegnern, es gehe um Wertungen, um religiöse Gefühle –
das tue der Akademiker nicht. Steiner habe seinen Goethe präsentiert,
der durfte das – er jedoch, Clement, dürfe das nicht, das würden
Anthroposophen bei ihm kritisieren, dass er seinen Steiner präsentiere.
–
*
Im
Gesprächsteil ging es ebenfalls um das Verhältnis von anthroposophisch
und akademisch und an einer Stelle verdeutlichte Christian Clement u.a:
Binnenanthroposophisch sei: der Umgang mit angenommenen Wahrheiten. Er
fokussiere den akademischen Umgang, der bestehe in:
Meinungsvergleich.
Rudolf
Steiner aus Rudolf Steiner verstehen – ohne Anthroposophie
Zum
Abschluss empfahl Christian Clement, die Anthroposophen sollten die akademische
Methode schätzen und lieben, und jedem die Freiheit der wissenschaftlichen
Methode lassen. Weiter erklärte Clement, er wolle nicht Anthroposophie
betreiben, sondern die Anthroposophie dem Akademismus annähern, soweit er es mit
akademischen Mitteln könne. –
Frank
Linde – zu Fehlinterpretationen in der SKA
In
die direkte Bezugnahme zur SKA ging Frank Linde. Er entwickelte zunächst
anschaulich Anforderungen an die erkennende Tätigkeit bei Erarbeitung der drei
höheren Erkenntnisarten: Imagination, Inspiration und Intuition. Er machte
deutlich, wie das gewöhnliche Denken nicht für Wesens-Erkenntnis, für
Geist-Erkenntnis geeignet sei und welche Formen der Eigenaktivität demgegenüber
erforderlich seien. Daraus resultiere notwendig eine kontinuierliche und
aufbauende Arbeit, also ein eigentlicher Weg, ein Erkenntnis-Weg der zugleich
eine vollständige Umwandlung des menschlichen Wesens mit sich bringe. Die
Gesamtwesenheit des Menschen bleibe in ihrer Entwicklung von dieser
Denkentwicklung nicht ausgeschlossen.
Auf
dieser Grundlage brachte Frank Linde seine SKA-Analyse vor und stellte die
sachlich-inhaltlichen Fehler in Christian Clements Einleitung exemplarisch
dar.
Clement
zitiert Steiner: »Steiner … [habe sich] … durchaus bemüht, seinen Lesern
klarzumachen, dass die von ihm geschilderten imaginativen und inspirativen
Phänomene, als solche, nichts als ›Halluzinationen, Visionen und Illusionen‹
(SE, 251) sind, … «
Steiner
im Original: »Nun zunächst ganz äußerlich betrachtet besteht die ganze
imaginative Welt aus solchen Halluzinationen, Visionen und Illusionen.« (GA 12,
42)
Linde
kommentiert: «Steiner sagt hier aber nicht – und das ist der entscheidende
Punkt –, die imaginativen und inspirativen Phänomene »sind« »Halluzinationen,
Visionen und Illusionen«. Clement zitiert nicht sinnentsprechend. Er löst drei
Worte [„zunächst“, „äusserlich“, „solchen“, usw.] aus dem Satz heraus und
stellt eine Behauptung auf, die den Sinn der Aussage Steiners ins Gegenteil
verkehrt. Auch ist im Originaltext nicht von imaginativen und inspirativen
Phänomenen die Rede, sondern nur von imaginativen. … – Um die Tragweite dieses
Sachverhalts richtig beurteilen zu können, müssen wir verstehen, was im Zitat
das Wort »zunächst« bedeutet und was Steiner mit »solchen«
Halluzinationen wirklich meint. - (im Detail nachzulesen, s. Anmerkung)
Wenn
man einen Satz zitiert und dabei Worte weglässt, so unterscheiden sich
Originalsatz und zitierter Satz. Der inhaltliche Zusammenhang wird ein anderer.
Lässt man dann noch die entscheidenden Sätze weg, die dem Verständnis der Sache
erst den rechten Sinn verleihen, entsteht ein Trugbild, das die Wahrheit des
Ganzen zum Verschwinden bringt. Während Steiner die Imagination als Weg zur
Erkenntnis der geistigen Wesen beschreibt, behauptet Clement, Steiner habe
klargemacht, sie seien nur Illusionen. Über diese inhaltliche Diskrepanz
zwischen Originalaussage und Zitat verhandelte Linde in ausführlichen und
präzisen begrifflichen Untersuchungen. Auf diese ging Clement mit keinem Wort
ein und sagte lediglich, so habe er es nicht gemeint. Er lieferte dann
ohne Bezugnahme auf Lindes Präzisierungen eine Interpretation seines eigenen
Textes, die im Text jedoch nicht ausgeführt ist. Und so strich Clement das Wort
„Wesen“ durch, das Linde in einer Skizze zu Steiners Darstellung an die Tafel
geschrieben hatte.
Zur
von Linde erkannten Differenz zwischen Steiner und Clement meinte Clement
lediglich, dass es zwei Meinungen gebe und beide respektiert werden müssten.
Linde seinerseits zeigte durchaus Respekt – in voller Anerkennung und
Wertschätzung der Person, forderte jedoch Objektivität und Wahrhaftigkeit in der
Sache. Denn es gehe nicht darum, welche Meinung man gegenüber Steiners
Imaginations-Begriff habe, sondern darum, ob man diesen, wenn man ihn zitiert,
mit wissenschaftlicher Sorgfalt sachgemäß behandelt. Letzteres sei in der
Einleitung zur SKA 7 nicht der Fall.
*
Aristoteles
«Um
der Wahrheit willen darf man auch der eigenen Meinung nicht schonen.»
«Nicht
darum nämlich, weil unsere Meinung, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß,
sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies
behaupten.»
Thomas
von Aquin
«Ich
antworte, es sei zu sagen, dass Wahrheit in der Übereinstimmung von Verstand und
Sache besteht […]. Wenn daher die Sachen Maß und Richtschnur des Verstandes
sind, besteht Wahrheit darin, dass sich der Verstand der Sache angleicht, wie
das bei uns der Fall ist; aufgrund dessen nämlich, dass die Sache ist oder nicht
ist, ist unsere Meinung und unsere Rede davon wahr oder falsch.»
*
Abschluss
Christian
Clement brachte eine Stelle aus seiner Einleitung in der SKA 2 in Erinnerung:
Das einzige Wesen, dem der Mensch in der Meditation begegnet, ist er selbst,
und zwar zugleich als individuell-persönliches und universell-absolutes
Wesen. Dies habe ihm von anthroposophischer Seite Kritik eingebracht, wovon
er aber gerade dachte, es sei sowohl akademisch wie auch anthroposophisch
vertretbar. So einfach sei das nicht, schloss ein Teilnehmer an, man
begegne dem kleinen Hüter nicht im All-Gemeinen. Was damit vorliege sei
erkenntnistheoretisch nicht lösbar, sondern nur moralisch, denn: der kleine
Hüter hindert, aktiv. Erst beim grossen Hüter werde es all-gemein. Die Frage des
Teilnehmers, auf welche Stelle bei Steiner Clement sich beziehe, wurde nicht
beantwortet.
Wolf-Ulrich
Klünker seinerseits abschliessend: die Gegenwärtigkeit der Anthroposophie sei
durch keine Exegese Steiners zu ersetzen, weder anthroposophisch noch
akademisch. Er sehe sich zwischen allen Stühlen und würdigte das An die
Grenzen Gehen seitens Christian Clement und seitens der
Anthroposophen; was dazwischen liege, sei interessant. Er betonte noch einmal
das Hauptgewicht welches in der Gegenwärtigkeit des Geistes liege und
äusserte die Befürchtung, dass vor der damit bezeichneten Grenze stehen
geblieben werde und das Eigentliche aufgerieben werde zwischen dem
Offenbarungs-Anspruch und dem akademischen Anspruch. Es gehe nicht um ein
Mischwesen beider.
Renatus
Ziegler schlug vor, zu demonstrieren, wie man – prozessorientiert, in einer
Hinführung – zu den von Klünker erwähnten Grenzen methodisch vordringt. Sein
eigener Kolloquiumsbeitrag erfüllte gerade diese Forderung kompromisslos,
fundiert, mit der Leichtigkeit des Kenners vorgetragen – praktische
Erkenntniswissenschaft mit intensiver Freude an der Sache. Er bot Stoff und
Anknüpfungspunkte, Beispiele beobachteter Vorgänge an und im Denken in der
Sprache des Akademikers in Fülle. Christian Clement liess sein Verhältnis dazu
offen. Ähnlich gegenüber dem Beitrag von Christoph Hueck, der anhand
einer meditativen Übung Beobachtungen im Denken und im weiteren Seelenleben
schilderte: Denken als Produktion von Selbstgesetzlichem. Ihm kam es
darauf an, zu zeigen, dass sich Wirklichkeit (ob physisch oder geistig) in der
je aktuellen Begegnung von seelischer Aktivität des Subjekts und
inhaltlicher Selbstbestimmung des Objekts konstituiert.
Ausblick
Christoph
Hueck forderte als Veranstalter zum Abschluss dazu auf, die offenen
Forschungsfragen einzubringen. Aus meiner Sicht passt dazu die Aufforderung die
Iris Hennigfeld noch davor im Gesprächsteil einbrachte, dass in eine
wirkliche Sachauseinandersetzung eingetreten werden möge. In ihrer eigenen
Untersuchung zum Thema untermauerte sie gründlich die Perspektive: «Was hier auf
dem Spiel steht, ist nicht die Alternative zwischen anthroposophischer
Binnenforschung auf der einen Seite und akademisch-wissenschaftlicher
Steiner-Forschung auf der anderen Seite, sondern die Frage nach dem Wesen und
der Wirklichkeit der geistigen Welt.»
Für
den weiteren Dialog schlug Roland Halfen, ebenfalls noch im Gesprächsteil
vor, nach den Erkundungsbedingungen, unter denen seelische Beobachtung möglich
ist, zu fragen: Beobachtbarkeit von Geist, Denken als nicht-sinnliches
Objekt, welches man selbst hervorbringt und welches Eigengesetzlichkeit hat.
Sein Anliegen war, die Grenze zwischen der sinnlichen und der geistigen
Erfahrung nicht mit der bei uns so geläufigen „Schwelle“ zu identifizieren,
sondern bereits im gewöhnlichen Tagesbewusstsein zu lokalisieren, um dort
wichtige, intersubjektiv kommunizierbare Beobachtungen über die andersartigen
Beobachtungsbedingungen nichtsinnlicher Objekte, in diesem Fall das Denken,
machen und beschreiben zu können. – In der Tat dürfte ein Vergleich von
akademischen und anthroposophischen Zugängen zum Erkennen auf dieser Grundlage
zur Klärung der notwendigen Dialog-Voraussetzungen und zum substantiellen Dialog
beitragen.
Kommentar
Das
Kolloquium bot einen offenen Gesprächsrahmen und eine klare Fragestellung. Der
Hauptreferent, Prof. Dr. Christian Clement wurde dazu eingeladen und –
sagte als Erstes seinen Vortrag ab. Ab da wollte er improvisieren. Zur
aufgeworfenen Fragestellung nahm er sodann direkt kaum Bezug, auf die
Ausführungen der übrigen Referenten ging er fast gar nicht ein. Weder auf die
Darstellungen der wissenschaftshistorischen und wissenschaftstheoretischen
Erkenntnis-Voraussetzungen, welche die Anthroposophie beobachtet (Klünker,
Ravagli, Hueck, Ziegler), noch auf die präzisen Bezugnahmen zum Text der SKA
(Linde – und im Vorfeld auch z.B. Hennigfeld, Hueck, Ravagli, Ziegler).
Die
Vortrags-Absage liess in der Begründung die Möglichkeit einer
nicht-personen-zentrierten zugunsten einer sachbezogenen Darstellung durchaus zu
(dies war der Anspruch von Clements Verlag, siehe oben), erfolgte jedoch nicht.
Ein Affront gegenüber dem Veranstalter und allen denjenigen Angereisten, welche
sich darauf verlassen hatten, dass Prof. Clement sich zu seinem eigenen Thema
und damit zu den schriftlichen Darstellungen von Linde und Ravagli äussern
würde. Aber auch ein Affront gegenüber der Intention, eine sachbezogene
Auseinandersetzung zu ermöglichen.
Dennoch
fand ein Kolloquium statt und Prof. Clement beteiligte sich von Anfang bis Ende,
trug vor, kommentierte, korrigierte. In meinem Verständnis klärte er darin
eindeutig: er betreibt nicht Anthroposophie, sondern Wissenschaft im
klassisch-akademischen Sinne und zwar nach clementscher Interpretation. Es ist
daher nicht möglich, sich mit Prof. Clement forschend auf den Boden der
Anthroposophie zu stellen, weil er darin nach seinen eigenen Worten nicht seine
Aufgabe sieht. Was er als eines seiner Ziele erwähnte, nämlich eine Deutung
Rudolf Steiners anzubieten, ist aus seiner Sicht eine akademische und zwar im
Sinne subjektiver Meinung. Die Deutungen Rudolf Steiners, die Prof. Clement
vornimmt, nimmt er somit methodisch von sachfremden Gesichtspunkten aus vor. Er
entnimmt seine Blickweise nicht konsequent den Bedingungen, die seinen
Untersuchungsgegenstand bestimmen, was zu Kollisionen im Verständnis führen
muss. Iris Hennigfeld hat diese Arbeitsweise bereits eingehend gewürdigt
(«Der Masstab, den der Herausgeber an Steiners Werk anlegt, ist nicht
derjenige Rudolf Steiners«) und weist nach, dass eine saubere Unterscheidung
zwischen eigner Interpretation und Gedanken Steiners an bestimmten Stellen
mangelt.
Es
wird klar: Die Herausgabe von Werken Rudolf Steiners innerhalb der SKA
repräsentiert in ihrer Intention nicht die Anthroposophie und in diesem Sinne
nicht die Anschauungen Rudolf Steiners und will dies auch ausdrücklich nicht
tun. (Dies hat Prof. Clement gelegentlich klar gemacht und es ist
selbstverständlich legitim. Siehe dazu die Einleitung oben.) Dass er die
Anthroposophie mitunter treffend beschreibt, wirkt anregend und ist seiner
Unternehmung zugute zu halten.
Zugleich
will Prof. Clement anthroposophische und akademische Wissenschaft einander
annähern. Die eigene wissenschaftliche, bzw. wissenschaftstheoretische
Grundlage, aufbereitet für eine Annäherung der beiden Gebiete hat er auf diesem
Kolloquium nicht entwickelt, die Vorschläge für eine solche Grundlage, wie sie
den Beiträgen der übrigen Referenten zu entnehmen war, nicht aufgegriffen. –
Vielmehr betonte er, er wolle diese Annäherung mit akademischen Mitteln zustande
bringen, so gut er es könne. Auch das ist legitim.
Für
einen zu entwickelnden Dialog ist wesentlich zu sehen, dass seine forschende
Haltung eine Umkehrung der Anthroposophie in ihr Gegenteil ist. Die
wissenschaftliche Ausrichtung der Anthroposophie ist eine Erweiterung, eine
Weiterentwicklung der klassischen Wissenschaft. Der Anspruch der Erweiterung
wird selbstverständlich fallen gelassen, wenn man sich auf den klassischen
Akademismus beschränkt, in der Form wie Prof. Clement es tut. Dass er es tut und
wie er es tut, ist selbstverständlich wieder legitim, ist seine Sache. Es ist
der Fehler der Anthroposophen, wenn sie sich darauf einlassen und sich
darüber auslassen. Es ist doch festzuhalten: Prof. Clement will gar nicht
kompetent und urteilsfähig über die Anthroposophie sein. Damit hat er immer
schon die Debatte um seine inhaltlichen Deutungen zur Anthroposophie endgültig
abgeschlossen.
Der
Schein aber einer kompetenten Urteilsbildung in und durch die SKA kann an
ihr entstehen, ist hier und dort auch entstanden und hat zu ganz realen
Missverständnissen geführt, weswegen die laufende Auseinandersetzung zwar Sinn
macht – zuletzt aber doch auch in eine Aufklärung dieser Missverständnisse
führen sollte. Eines der Missverständnisse also ist, dass die Verlautbarungen
von Prof. Clement als geisteswissenschaftlich ernst zu nehmende Beiträge
gemeint sind – sie sind es von ihm nicht.
Eine
Diskussion mit Prof. Clement auf dem geisteswissenschaftlichen Fundament der
Anthroposophie und über deren Inhalte ist daher sinnlos – es sei denn, man sieht
einen Sinn darin, die Anthroposophie zu verneinen, oder, vornehm ausgedrückt:
auszugrenzen, – oder, noch vornehmer ausgedrückt: die Forschungsmethoden der
Anthroposophie, bzw. des Akademismus der Wahlfreiheit anheimzustellen. Die von
Prof. Clement empfohlene Wahlfreiheit lässt den Aspekt der tatsächlichen
Weiterentwicklung der klassischen Wissenschaft durch Anthroposophie weg und
damit deren beider durch diese Tatsache eingetretenes Verhältnis und ist damit
die Freiheit eines blossen Relativismus. Diesen Relativismus scheint Prof.
Clement, nach dem, was ich in Stuttgart wahrnehmen konnte, dogmatisch zu
vertreten.
Im
Relativismus bietet sich keine Aussicht auf eine
gemeinsam-akademisch-anthroposophische Forschungsgrundlage. Der klassische
Akademismus beschränkt sich jedoch nicht auf einen Relativismus clementscher
Prägung. Eine Perspektive für substantiellen Dialog, auch mit der akademischen
Welt, bietet sich in der Beobachtbarkeit von Geist, ausgehend vom
gewöhnlichen Denken, wie im Ausblick erwähnt.
Erschienen
in Ein Nachrichtenblatt, Nr. 10/2016
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