Dienstag, 24. März 2015

Clements Begegnung mit Rudolf Steiner - Holger Niederhausen


Clements Begegnung mit Rudolf Steiner



Eine ernste Humoreske.


Clement, eines Nachts aufwachend, oder noch träumend, wer weiß es? Die Gestalt Rudolf Steiners steht vor ihm und fragt ihn:


„Was tust du?“


(Clement, erschrocken, aber sofort kritisch): „Moment, ich will dich einmal anfassen.“


(Die Gestalt Steiners, etwas zurückweichend): „Noli me tangere!“


(Clement, erstaunt): „Ich dachte, du kannst kein Latein?“


„Du dachtest und denkst Vieles. Aber ich frage dich wieder: Was tust du?“


(Clement, sich innerlich ermannend und äußerlich in die Brust werfend): „Ich verteidige den wahren Steiner, äh, dein wahres ... Ich ... gegen naive Phantasten.“


„Große Worte...“


„Ja – und ein modernes Bewusstsein!“


„Hast du gelesen, was ich über Luzifer gesagt habe?“


„Nun – deine Vorträge nehme ich nicht ernst. Und Luzifer – ich bitte dich!“


„Das ist deine Sache. Du kannst, wenn du magst, auch beim gewöhnlichen Hochmut bleiben. Wo ist dein modernes kritisches Bewusstsein da? Siehst du ihn?“


„Ich? Ich bin doch nicht hochmütig! Ich bin nur sicher, dass mein modernes, kritisches Bewusstsein der Wahrheit näher ist als das naive Bewusstsein der naiven Steiner-Jünger.“


„Für die Wahrheit kommt es nicht darauf an, was man geglaubt hat. Eine Unwahrheit ist und bleibt im Geistigen ein Mord an der Wahrheit.“


„Ich sagte, ich bin sicher – ich glaube nicht.“


„Du sagtest, du bist sicher, der Wahrheit näher zu sein...“


„...als jene Naivlinge, ja.“


„Woher weißt du, dass es Naivlinge sind?“


„Ich bitte dich!“


„Du bittest ganz schön viel – aber alles ist Hochmut. Würdest du einmal wirklich bitten, es würde dir vielleicht auch gegeben werden.“


„Ha, ha, ha.“


„Das war kein Witz, sondern tiefer Ernst. Leider fehlt dir aber nicht nur in dieser Frage alles Unterscheidungsvermögen.“


„Wieso?“


„Bloß weil man sicher ist, der Wahrheit näher zu sein als jemand anders, sagt das überhaupt nichts. Sicherheit ist zunächst ein völlig subjektives Gefühl. Wie kannst du es kritisch und wissenschaftlich beurteilen?“


„Nun, alle Indizien sprechen dafür.“


„Welche?“


„Deine entscheidenden Aussagen von 1902, dein ganzes Frühwerk, die naive Gläubigkeit der dogmatischen Steiner-Jünger...“


„Ein Riesengebäude von Illusionen...“


„Ja, sie glauben an ein –“


„Nein du! Du hast dir ein Riesengebäude an Illusionen zurechtgezimmert. Und natürlich nicht du allein. Aber es ist sinnlos, das jetzt zu differenzieren.“


„Aber...“


„Illusionen und Hochmut! Mit einem ungeheuren Hochmut verurteilst du jene deiner Menschenbrüder, die dir an kritischem Bewusstsein vielleicht mehr voraus haben, als du je ahnen würdest, dieses aber in richtiger Weise einsetzen. Mit einem ungeheuren Hochmut glaubst du, mit wenigen Sätzen mein ganzes Wesen und Erkennen erfasst zu haben und all mein Erkennen, das über mein Frühwerk hinausgeht, lächerlich machen zu können. Dir liegt nur an meinen Schriften? Dann studiere einmal meine ‚Leitsätze’ – eine Frucht all meines Erkennens.“


„Ich bitte dich...“


„Luzifer lässt dich nicht aus seinen Klauen. Ich sage es dir dennoch, als Keim für ein künftiges Leben gebe ich es dir: Das moderne Bewusstsein ist nicht dazu da, das heilige Erkennen herabzuziehen, sondern sich bis zu ihm zu erheben. Wenn du es nicht vermagst, meine ‚Leitsätze’ und was ich über Michael gesprochen habe, mit dem modernen Bewusstsein so zu verbinden, dass du mich nicht lächerlich machst, sondern jedes einzelne Wort voll ernst nimmst, hast du die Probe der geistigen Welt nicht bestanden.“


„Welche Probe?“


„Die Probe, ob das moderne Bewusstsein weit genug entwickelt ist, um sich von den Widersachern zu befreien.“


„Ich bitte dich...“


„In diesem Leben ist keine Hoffnung mehr...“


„Aber man kann doch nicht in das naive Bewusstsein zurückfallen.“


„Das sagt auch niemand – und tut auch niemand.“


„Aber die Naivlinge...“


„Manche Irrtümer sind nicht zu heilen...“


„Das meine ich ja gerade.“


„Ich spreche von deinen Irrtümern. Du brauchst den Glauben an die Naivlinge – die du in deiner derzeitigen Heimat ja auch vielfach um dich hast –, aber du brauchst den Glauben, dass auch Jene, die mich wahrhaft ernst nehmen, Naivlinge seien, weil sonst dein ganzes Weltbild zusammenbrechen würde und du mit all deinem modernen, kritischen Bewusstsein vor dem Nichts stehen würdest. Ich aber sage dir, dass das kritische Bewusstsein selbst niemals die geistige Welt betreten und schauen können wird, dass es aber dennoch einen tiefen Sinn in der Menschheitsentwickelung hat, denn seine Frucht ist gerade das Unterscheidungsvermögen.“


„Na also!“


„Ja, aber nur, wenn man es zur Frucht werden lässt. Behält man es so, wie es ist, wird es verfaulen wie ein blindes, unfruchtbares Korn. Es soll eine Frucht bringen. Du aber klammerst dich mit aller Macht an das, was du jetzt hast – und dein Hochmut wächst von Tag zu Tag weiter. Wer da die Frucht verdirbt und den Keim blind und unfruchtbar hält, brauche ich dir wohl nicht zu sagen.“


„Dieser ganze Kram von Luzifer etc. – das sind doch alles nur Bewusstseinszustände des Menschen selbst.“


„Es wäre schon ein ungeheurer Schritt, wenn du wenigstens diese in dir erkennen könntest. Wer sie außer dir – und dennoch mit dir – noch verursacht, das wirst du in diesem Leben nicht mehr begreifen.“


„Was soll dieses ständige Gerede?“


„Jeder Mensch muss einmal durch eine Inkarnation gehen, in der er von der geistigen Welt völlig abgeschnitten ist. Während viele deiner Brüder und Schwestern längst weiter sind als du...“


„Aber führende Anthroposophen in Dornach unterstützen meine Arbeit.“


„Ich bitte dich!“


„Ha! Jetzt bist du hochmütig.“


„Nein, ich weise nur darauf hin, wie du völlig naiv der Meinung erlegen bist, dass die, die deine Arbeit unterstützen, vernünftiger als die anderen seien – und dass irgendwelche Menschen in Dornach heute noch eine Garantie wären, dass meine Arbeit ernst genommen und verstanden würde.“


„Wie auch immer! Ich lasse mir von dir weder den Mund noch das kritische Denken verbieten. Wer bist du überhaupt? Eine Illusion!“


„Glaube, was du willst. Ich bin nicht gekommen, um dir etwas zu verbieten, sondern nur, um dich auf die Wahrheit hinzuweisen. Kennst du das Christus-Wort: ‚Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.’? Die ‚götterschaffende Tätigkeit’ ist bei dir gewissermaßen abgestorben. Dennoch hat dein ach so modernes Bewusstsein Vorstellungen geboren, die nun deine Kinder sind, von denen du nicht mehr loskommst und die du mehr liebst als die Wahrheit. Die Wahrheit drängt sich nicht auf. Sie will erkannt werden. Wer sie nicht erkennen will – den lässt sie ziehen, auf der breiten Straße des Irrtums. Früher oder später wirst auch du eine Sehnsucht nach der wirklichen Wahrheit empfinden. Dann wirst auch du beginnen, deinem wahren Selbst näherzukommen. In diesem Leben jedoch führt dich jemand noch den anderen Weg...“


„So ein Blödsinn!“


„Ja, du magst wüten, fluchen, spotten – was auch immer. Es fällt alles auf dich selbst zurück und wird zu Hindernissen auf deinem wahren Weg.“


„Aber ich habe das wahre Menschenwesen doch mehr begriffen als irgendeiner dieser –“


„In diesem Leben nicht mehr...“


Die Gestalt Steiners verschwindet. Nach ihr taucht kurz eine hämisch grinsende Fratze auf. Clement meint für einen Moment, ein lautloses diabolisches Lachen zu erleben – dann verdrängt sein kritisches Denken diesen Eindruck, und er findet sich wieder ganz im „modernen“ Bewusstsein vor.


Seltsam leer fühlt er sich für einige Sekunden, das Gefühl einer tief verborgenen Unsicherheit lässt ihn für einen Moment ahnen, was echte Fragen wären ... dann schüttelt er auch dies ab und ist wieder ganz der Alte...







mit freundliche Zustimmung von Holger Niederhausen, Quelle

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