Freitag, 8. November 2019

Steiner-Studies

I N I T I A T I V E    E N T W I C K L U N G S R I C H T U N G    A N T H R O P O S O P H I E    Ein Nachrichtenblatt für Mitglieder und Freunde 


ein.nachrichtenblatt@startmail.com  4                                      Nr. 21  |  27. Oktober 2019


Zur Ankündigung der             Steiner-Studies
Redaktionelle Vorbemerkung
Anlass für die nachfolgende Artikelreihe war die Ankündigung der neuen Zeitschrift ‘Steiner Studies’ von Christian Clement, erschienen in der Mitgliederzeitschrift ‘Anthroposophie’ (Deutschland). Ausserdem erschien dazu ein Interview mit Christan Clement in der Wochenschrift ‘Das Goetheanum’ und in ‘Info 3’. Unsere Auseinandersetzung mit dem von Rudolf Steiner häufig und entschieden charakterisierten Verhältnis zwischen den klassischen Natur- und Geisteswissenschaften und der Anthroposophie wird fortgesetzt werden.                                                                       Roland Tüscher
Die Zeitschrift „Anthroposophie“ hatte früher den Namen „Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland“ und erscheint viermal im Jahr. Die Zeitschrift wird herausgegeben von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland und ist „Organ ihrer Mitglieder“, wie es im Impressum heißt. Fritz Götte war jahrzehntelang ihr unermüdlicher Redakteur, dann Erika Beltle und Kurt Vierl, später Justus Wittich und zuletzt Manfred Krüger und Jost Schieren. Zurzeit sind die Redakteure:  Jost Schieren (Endredaktion), Monika Elbert. W.U. Klünker, Julian Schily und Carlo Willmann.   In Nr. 289, Michaeli 2019 dieser Zeitschrift erschien eine Ankündigung von Prof. Christian Clement, Provo, Utah, USA, über eine neue Zeitschrift „Steiner Studies - Internationale Zeitschrift für kritische Steiner-Forschung, call for papers“. In dieser neuen Zeitschrift sollen auf möglichst hohem akademischen Niveau (d.h. mit Peer Review) Studien zum Werk R. Steiners erscheinen. Die Zeitschrift will ein Forum für einen kritischen Diskurs sein. Ein internationales Team von Mitarbeitern bildet den wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift: Dr. Egil Asprem (Stockholm), Prof. Karl Baier (Wien), Dr. Aurelie Chone (Strasbourg), Prof. Wouter Hanegraaff (Amsterdam), Prof. W.U. Klünker (Alfter), Ansgar Martins (Frankfurt), Prof. Jost Schieren (Alfter), Prof. Heiner Ullrich (Mainz), Prof. H. Zander (Fribourg). Herausgeber der Zeitschrift sind Christian Clement und Prof. Hartmut Traub.   Nun ist Prof. Clement durch seine kritische Steiner Ausgabe und durch die Wellen, die diese Edition bei guten Kennern der Anthroposophie auslöste, noch gut bekannt. Prof. Zander wurde durch die fundierte Analyse von Lorenzo Ravagli „Zanders Erzählungen“ bereits 2009 widerlegt.  Zander ist ein Wort- und Sinn- Verdreher der Texte R. Steiners, wie in Dutzenden Fällen nachgewiesen wurde.2 Zander diffamiert R. Steiners schauendes Bewusstsein als eine persönliche Anmaßung, die R. Steiner behauptet habe, um Anhänger zu gewinnen.   Selbstverständlich haben Herr Prof. Schieren und Herr Prof. Klünker die volle Freiheit des Geisteslebens. Ein Re

2 Vgl. dazu Lorenzo Ravagli: https://www.zander-zitiert.de/startseite/
daktionsbeiratsmitglied braucht nicht unbedingt die gleiche Meinung wie ein anderes Mitglied zu haben, das ist klar. Jeder Mensch hat seine Freiheit.  Aber als Anthroposoph, der ich im Sinne von Herrn Prof. Zander unkritisch R. Steiner verfallen bin, habe ich auch eine Freiheit. Ich möchte nämlich zu diesem hier skizzierten Vorgang gerne meine Meinung sagen. Entweder man ist in einer wissenschaftlichen Gesinnungsgemeinschaft mit einem der schlimmsten Verleumder R. Steiners oder man ist in der Lage, den Interessen und Bedürfnissen der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft zu dienen. Es ist ein schreiender Widerspruch, wenn zwei Redakteure des Mitgliederblattes der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland mit Herrn Prof. Zander zusammenarbeiten und diesem Mann dadurch eine Reputation erteilen, die er im Sinne der anthroposophischen Sache nicht nur nicht verdient, sondern im Gegenteil entzogen bekommen müsste. Deswegen plädiere ich dafür, Jost Schieren und W.U. Klünker als Redakteure der Zeitschrift „Anthroposophie“ zu entlassen. Ich hoffe, dass möglichst viele Anthroposophen sich meiner Meinung anschließen.  Ein Duplikat dieses Rundbriefes geht an die Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland.
Was ist eine Anthroposophin oder ein  Anthroposoph?  Im Zusammenhang mit der Ankündigung der Steiner Studies, wo prominente Anthroposophen wie Jost Schieren und Wolf Ulrich Klünker in ein und demselben Redaktionsbeirat mit Prof. Zander zusammenarbeiten, möchte ich gerne die Frage beleuchten, was eigentlich eine Anthroposophin oder ein Anthroposoph ist.   Jeder von uns kennt die Hemmung, sich als Anthroposoph zu outen. Immer wieder sagen einem fleißige Leser R. Steiners oder gute Kenner der Anthroposophie, dass sie keine Anthroposophen sind. Dem liegt zugrunde, dass sie mit dem verzopften und überheblichen oder sektiererischen Gehabe, was manche von uns an sich haben, nicht in einen Topf geworfen werden wollen. Ganz besonders wollen sie mit der Anthroposophischen Gesellschaft nichts zu tun haben. Ich erinnere mich noch genau, wie ich bei der Frage, wie man sich als Repräsentant der anthroposophischen Sache erweisen solle, bei R. Steiner las: wenn man gefragt werde, ob man Anthroposoph sei, brauche man ja nicht gerade mit Nein zu antworten. Als ich das las, dachte ich: das werde ich niemals tun. Damals, es war Anfang der 70er Jahre, war ich noch Assistenzarzt in einer schulmedizinischen Klinik und studierte daneben die Anthroposophie für mich allein. Ich war damals organisatorisch dafür tätig, eine kardiologische Überwachungsstation einzurichten. Es gelang alles sehr gut. Mein Chef und die Verwaltung waren äußerst zufrieden. Und dann fragte mich in dieser von mir eingerichteten Überwachungsstation eines Tages eine Krankenschwester, die in ihrem Bekanntenkreis Anthroposophen hatte, ob ich nicht auch Anth
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roposoph sei. Diese Frage war mir damals an dieser Stelle sehr unangenehm. Ich habe nach einigen Zwischensätzen dann auch „Ja“ gesagt, aber ich schämte mich nachträglich doch, dass ich es nicht rundheraus hatte sagen können.  Nun möchte ich Ihnen gerne mitteilen, was Steiner selbst zu all dem sagte. Es steht praktisch alles im 1. Leitsatz in GA 26. Der erste Satz dieses ersten Leitsatzes wird sehr oft zitiert, die weiteren Sätze sind mehr oder weniger unbekannt und mehr oder weniger unbeachtet:   „1. Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Sie tritt im Menschen als Herzens- und Gefühlsbedürfnis auf. Sie muß ihre Rechtfertigung dadurch finden, daß sie diesem Bedürfnisse Befriedigung gewähren kann. Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus seinem Gemüte heraus suchen muß. Anthroposophen können daher nur Menschen sein, die gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet.“ Das heisst Anthroposophen sind dadurch Anthroposophen, dass sie bestimmte Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeiten empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet. So betrachtet wird man sich viel lieber als Anthroposoph bezeichnen. Man kann einfach sagen: die Anthroposophie beantwortet meine Fragen, sie erfüllt mich mit Hoffnung und Lebenssicherheit wie sonst keine andere Weltanschauung.  Der Anthroposoph hat nach Steiners Meinung ein Herzens- und Gefühlsbedürfnis. Wie bitte?? Ja, er hat ein Herzens- und Gefühlsbedürfnis. Das ist die Sprache Michaels. Die Anthroposophin oder der Anthroposoph hat zunächst kein Bedürfnis nach „Akademisierung“, nach wissenschaftlicher Qualitätskontrolle und Peer Review, wie uns dies zuletzt von den Redakteuren des deutschem Mitgliederblattes „Anthroposophie“ vorgestellt wurde. Anthroposophie ist „nichts anderes als Menschensehnsucht der Gegenwart“ (GA 234, 19.1.1924). Und auch die Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft und deren Redakteure müssen ihre Rechtfertigung dadurch finden, dass sie dieser Sehnsucht, diesem Bedürfnis Befriedigung gewähren können. Ganz besonders ein Mitteilungsblatt für Mitglieder muss diese Aufgabe beachten.   Es wird uns von der Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft allerhand zugemutet. Voriges Jahr gab es den Skandal mit dem Verschwörungstheorie-Verbot. Acht prominente Medienschaffende – unter ihnen auch Herr Prof. Jost Schieren als Redakteur der Zeitschrift „Anthroposophie“ und Wolfgang Held als Redakteur der Zeitschrift „Das Goetheanum“ – erklärten uns, dass wir das Bilden von Verschwörungstheorien unterlassen sollen. Was man darunter zu verstehen hat, wurde nicht erklärt. Was R. Steiner in der Richtung selbst getan hat (GA 173 a-c) wurde nicht erwähnt oder beurteilt oder verteidigt oder ins rechte Licht gesetzt, wie dies Markus Osterrieder mit seinem Buch „Welt im Umbruch“ getan hat. Aber wenn man den Aufruf ernst nahm und zu Ende
dachte, dann haben wir als Anthroposophen Denkverbote, Redeverbote und Veröffentlichungsverbote erhalten, wie dies in der Zeit vor der Aufklärung üblich war. Die Folge waren 40 verschiedene sehr bedenkenswerte und widersprechende Stellungnahmen in der Zeitschrift „Anthroposophie weltweit“. Und jetzt kommt das, was ich entscheidend finde. Vergleichen Sie bitte, was Prof. Jost Schieren vor einem Jahr mit seinem Verschwörungstheorie-Verbot getan hat mit dem, was er jetzt zusammen mit Prof. Zander vorhat. Der Dialog mit Andersdenkenden, der Diskurs mit den Verleumdern Rudolf Steiners, der wird gesucht und gefördert, aber der Diskurs mit den Anthroposophen, der Dialog mit den Mitgliedern, der wird nicht ins Auge gefasst. Den Anthroposophen, denen wird einfach nur der Mund verboten. Die sollen schweigen und keine Verschwörungstheorien bilden und zu Weihnachten fleißig spenden, sonst nichts. Herr Prof. Schieren ist sicher ein guter Dekan der Alanus Hochschule, ich bestreite nicht seine Verdienste für die Förderung der Anthroposophie in der Öffentlichkeit, aber für die Lebensbedingungen einer Anthroposophischen Gesellschaft, für die Bedürfnisse der Mitglieder hat er kein Organ. Und das müsste er haben, wenn er das Mitgliederblatt der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland redigiert. Welcher Anthroposoph hat denn Lust, etwas, was er geschrieben hat, was er so geschrieben hat, „wie es ihm ums Herz ist“ (R. Steiner zur Begründung des Mitteilungsblattes für die Wochenschrift „Das Goetheanum“ bei der Weihnachtstagung) an Herrn Prof Schieren zu schicken? An einen Redakteur, der mit dem schlimmsten Verleumder R. Steiners zusammenarbeitet?  Lesen Sie mal die Autorenrichtlinien der von Herrn Prof. Schieren redigierten Zeitschrift. Da werden die höchsten und kompliziertesten Ansprüche an die Textgestaltung gestellt, die man sich vorstellen kann. Als ich diese Richtlinien vor einigen Jahren las, dachte ich: dort kann ich ja ein Manuskript nur dann einreichen, wenn ich meinen Text vorher mit einem PC-Spezialisten durchgearbeitet habe. Wenn ein Mitglied in einem Mitgliederblatt so schreiben soll, wie „es ihm ums Herz ist“, dann müsste in den Autorenrichtlinien stehen: wir akzeptieren auch von Hand geschriebene Manuskripte, wenn der Inhalt für unsere Leser lesenswert ist.  Aber bei den genannten Richtlinien von Herrn Prof. Schieren da erfriert einem das Herz. Und das ist auch die Absicht. Das Herz, das soll erfrieren, damit bloß keine Begeisterung in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft entstehen kann.
Rudolf Steiners Charakter und die          Verleumdungen Prof. Zanders Es ist gar nicht so leicht über Rudolf Steiners Charakter zu sprechen. Denn es wird einem das, was da vorliegt, schlicht und einfach nicht geglaubt.  Es gibt eine große Anzahl von Berichten seiner Zeitgenossen, wobei Friedrich Rittelmeyer mit seinem durchaus
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auch kritischen Bericht herausragt, aber auch Margarita Woloschin, Andrej Belyj, Assia Turgeniew, Emil Leinhas, Albert Steffen, Günter Wachsmuth, Herbert Hahn, Max Gümbel Seiling, Ludwig Kleeberg, Hans Kühn, Lili Kolisko, Marie Steiner, Ita Wegman, Ernst Lehrs, Johanna Mücke/Alwin Rudolph, Heinz Müller, Ehrenfried Pfeiffer, Anna Samweber, Ilona Schubert, Alexander Strakosch, Gottfried Husemann, Friedrich Husemann, Adelheid Petersen, Wilhelm Rath, Willem Zeylmanns von Emmichoven, George Adams, Elisabeth Vreede, Oskar Schmiedel u.v.a. beschreiben ihre Erlebnisse, die sie mit R. Steiner hatten, eigentlich sehr nüchtern, denn die referierten Tatsachen sprechen für sich. Steiners Antworten, seine Handlungs- und Reaktionsweise werden deutlich in sehr oft auch überraschender Weise, was ja umso mehr überzeugt. Die Darstellungen sind anschaulich und gut nachvollziehbar und oft auch kritisch. Aus allen diesen Berichten geht hervor, dass Rudolf Steiner ein von Grund aus ehrlicher Mensch gewesen ist. Er hatte einen selbstlosen Charakter und wollte das Gute. Er hat die konkreten Situationen des Lebens im Alltag oftmals humorvoll, dann wieder sehr ernst, wenn es notwendig war realistisch, wenn es richtig war, idealistisch genommen. Eigentlich war er jeder Lebenslage gewachsen. Das geht aus diesen Berichten hervor.  Nun muss man natürlich bedenken, dass allein schon das Studium aller dieser Bücher und Berichte nicht jedermanns Sache ist. Viele nehmen diese Bericht gar nicht zur Kenntnis, sondern haben nur ein Urteil darüber und sagen: Hagiographie (Heiligenbeschreibungen). Sie können es sich nicht vorstellen, dass ein Mensch charakterlich so lauter und rein wie R. Steiner gewesen ist. Ich habe alle diese Berichte mit großem Interesse gelesen, viele auch mehrmals.  Von Martin Luther King (1929-1968), der ja wirklich eine bedeutende Persönlichkeit war, der als Werkzeug des Zeitgeistes gewirkt hat, weiß man, dass er ein ausschweifendes Sexualleben geführt hat. Treue Weggefährten haben das bestätigt, keinesfalls die CIA hat es nur kolportiert. Ich habe extra das Buch seiner Frau Coretta gelesen, weil ich hoffte, dass sie das besagte Gerücht widerlegt. Sie tat dies aber nicht. Sie beschreibt im Rückblick auf ihr Leben mit Martin Luther King den gemeinsamen Kampf gegen die Rassendiskriminierung, sie stellt ihren Mann als guten Familienvater dar, aber über die erwähnte Bedenklichkeit, die ihr natürlich bekannt gewesen ist, verliert sie kein Wort. Sie wollte damit indirekt sagen, dass sie als seine Ehefrau das vorhandene Problem akzeptiert hatte und ihren Mann ganz unabhängig davon als große Persönlichkeit der Zeitgeschichte verehrte und ihm geholfen hat, wo sie konnte.  Stellen Sie sich bitte probeweise einmal vor, man würde über R. Steiner etwas Ähnliches berichten können. Das kann man eben nicht. Auch in anderen problematischen Bereichen des Menschenlebens, z. B. im Umgang mit Schulden oder in der ehrlichen Abrechnung mit dem Finanzamt, kann man es nicht. Und das ärgert die Menschen. So wie Schiller sagte: „Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen“ (Gedicht „Das Mädchen von
Orleans“). Es gibt die goldene Regel der „wahren Geheimwissenschaften: wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei Schritte vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten“ (GA 10, Kap „Kontrolle der Gedanken und Gefühle“). Es ist offensichtlich, dass R. Steiner diese Vervollkommnung seines Charakters zum Guten in einem sehr hohen Maße erreicht hat.  Und nun kommt eben Helmut Zander. Er meint, die Hellsehergabe Rudolf Steiners sei eine Anmaßung Rudolf Steiners gewesen, die er inszeniert habe, um Anhänger zu gewinnen. „Die wesentlichen Antriebe in Steiners Leben waren Macht- und Geltungstrieb“, so fasst Lorenzo Ravagli in seinem Buch „Zanders Erzählungen“ (2009) die Auffassung Zanders zusammen.  R. Steiners Autobiographie „Mein Lebensgang“ (GA 28) hat über 400 Seiten und R. Steiner erwähnt dort seine Geistesschau bzw. seine Fähigkeit zur übersinnlichen Geistesforschung etwa 80 mal in den verschiedensten Zusammenhängen. Wenn Herr Prof. Zander recht hätte, dann hätte R. Steiner allein schon in „Mein Lebensgang“ 80 mal gelogen.  Nun kann man natürlich R. Steiners Hellsehergabe bezweifeln oder für unwahrscheinlich halten, das ist klar. Das meine ich nicht, dass es schlimm wäre. Man kann auch Irrtümer R. Steiners feststellen, was er übrigens selber eingeräumt bzw. dazu aufgefordert hat. Er hat für sich selbst keine Unfehlbarkeit beansprucht (GA 9, Vorwort). Man kann allerdings auch plausibel begründen, warum es die Stufen der höheren Erkenntnis geben muss, z. B. wie es in GA 12 geschieht oder wie es aus den vier Naturreichen oder den 3 Seelengliedern hervorgeht usw.  Aber die These, dass R. Steiner ein notorischer Lügner und Machtmensch und Geltungssüchtiger gewesen sei, das ist noch eine andere Dimension. Das ist gegenüber den zitierten Schilderungen, wie R. Steiner als Mensch war, rein menschlich unmöglich. Herr Prof. Zander hat diese Berichte entweder nie gelesen oder er ist ein Mensch ohne jede Empathie und Verständnis für die menschlichen Qualitäten eines Menschen. Die Art und Weise, wie Prof Zander R. Steiner beurteilt, ist deswegen schlicht und einfach böswillig. Herr Prof. Zander hat seine eigenen Lügen in R. Steiner hineinprojiziert. Es ist eine Zumutung, diesen Mann ernst nehmen zu sollen und dieses Ernstnehmen auch noch als Akademisierung oder Wissenschaftlichkeit auszugeben. 
Über die Herkunft unseres Ich Der Chef der EU Kommission, Jean Claude Juncker, hat jetzt zu seinem Abschied gesagt, man müsse den „dummen Nationalismus“ überwinden. Jean Claude Trichet, der Vorgänger von Mario Draghi als Leiter der Europäischen Zentralbank, sagte 2011 bei seinem Abschied dasselbe. Es ist ganz offensichtlich, dass wir in diesem Punkt weltweit nicht vorwärts
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kommen. Herzogin Meghan von Sussex, die 2018 sich mit Prinz Harry verheiratet hat, muss sich von Seiten der britischen Boulevard Presse rassistischer Angriffe erwehren. Ihre Mutter ist Schwarzamerikanerin. Peter Handke, der im Rückblick auf den Kosovo Krieg Serbien in Schutz nahm, bekam als frisch gebackener Nobelpreisträger jetzt Widerspruch von dem aus Bosnien Herzegowina stammenden Schriftsteller Sasa Stanisic. Bei seiner Dankesrede zum Deutschen Buchpreis sagte Stanisic: "Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt." Sein neuer Roman hat den Titel: „Herkunft.“  Die Welt ist gespalten in viele Nationen, Länder, Sprachen und Ethnien (das Wort Rasse ist heute politisch unkorrekt und darf nur noch im negativen Sinn als Rassismus benützt werden). Das sind unsere Probleme, an deren Lösung wir erstarken müssen. Nichts davon ist wirklich gelöst. Es beginnt schon mit dem großen Gegensatz von Ost und West. Viele schauen nach dem Orient, wenn es um den Geist und um die Orientierung geht. Und damit fängt der Irrtum schon an: „Es gibt keine Weisheit des Ostens, die nicht eingeflossen wäre in den Okkultismus des Westens, und in der rosenkreuzerischen Lehre und Forschung finden Sie restlos alles, was die großen Weisen des Ostens jemals bewahrt haben. Nichts von dem, was man wissen kann aus der Weisheit des Ostens fehlt in der Weisheit des Westens. Es ist der Unterschied, wenn man von einem solchen Unterschied sprechen will, nur der, dass die Weisheit des Westens die gesamte östliche Lehre, die gesamte östliche Weisheit, die gesamte östliche Forschung zusammennehmen muss und, ohne etwas von ihr verloren gehen zu lassen, sie zu beleuchten hat mit dem Lichte, das durch den Christus Impuls in der Menschheit entzündet worden ist. So sage niemand, wenn vom westlichen Okkultismus gesprochen wird, […] dass in ihm auch nur ein Jota, ein Häkchen fehle vom östlichen Okkultismus. Nichts, aber auch gar nichts fehlt. Er hat nur alle Dinge neu heraus zu gebären aus dem Jungbrunnen des Christus Impulses“ (GA 110, 12.4.1909, vorm.). Dieses hier erwähnte „Nur“ ist natürlich methodisch gemeint, inhaltlich ist die Neugeburt der alten Weisheit durch den Jungbrunnen des Christus Impulses eine Aufgabe, die den Rest der Erdenentwicklung in Anspruch nehmen wird. Rassismus und Nationalismus, das übertriebene Verliebtsein in die eigene Herkunft oder das übertriebene Verliebtsein in die eigene Sprache, all diese Impulse, sind antichristlich und antimichaelisch (GA 237, 28.7.1924).  Es ist deswegen empörend, dass die pseudowissenschaftliche Forschung von Helmut Zander es fertiggebracht hat, Rudolf Steiner als Rassist zu denunzieren. Das darf man heute öffentlich sagen, das ist wissenschaftlich „korrekt“ bzw. „erwiesen“. So geschah es in dem Leitartikel von Matthias Dobrinski zum 100. Bestehen der Waldorfschule (SZ vom 5.9.2019). Dobrinski meinte, Waldorf sei gut und bewährt, aber in Zukunft brauchen wir Waldorf ohne Steiner, denn Steiner war Rassist. Dann antwortete Herr Prof. Traub mit einem Leserbrief, und schrieb: Waldorf ohne Steiner sei genauso unsinnig wie die Reformation ohne Luther oder die Aufklärung ohne Kant. Kant habe über Neger abfällig ge
sprochen und Luther war Antisemit. Demnach – so Traub - auch wenn Steiner Rassist war, gehe Waldorf ohne Steiner nicht. Der Leserbrief von Herrn Prof. Traub war eigentlich sehr gut, aber der Vorwurf, dass Steiner Rassist war, der blieb bestehen. Dagegen sagte Prof. Traub inhaltlich nichts. Prof. Traub ist ja zusammen mit Prof. Clement Redakteur der neu zu gründenden Zeitschrift „Steiner Studies“, in deren Redaktionsbeirat u. a. Herr Prof Zander ist. Diese Zeitschrift wird geführt und geleitet von Professoren mit höchstem wissenschaftlichen Anspruch, die Steiner für einen Rassisten halten! Der gute Wille, das tief Christliche der Anthroposophie (siehe oben das Zitat über die Wiedergeburt des Ostens durch den Christus Impuls im Westen, siehe unten das Zitat über das Hervorgehen eine jeden menschlichen Ich aus dem Christus-Ich) wird ausgeblendet oder nicht geglaubt und das Gegenteil wird verkündet, bzw. wie man heute sagt: kontextualisiert. Diese kontextualisierende Pseudowissenschaft nach dem Muster von Prof. Zander berücksichtigt nur die Kontexte, die ihr gefallen, die Kontexte, mit denen sie bestimmte Zwecke erreichen will, alle anderen Kontexte, die ihrer Theorie widersprechen könnten, werden fallen gelassen. Diese Scheinwissenschaft hat heute eine große Macht. Sie ist die wiedererstandene Inquisition von gestern. Da wurden die Verleumdungen zuerst erfunden und dann wurde nach diesen Verleumdungen gehandelt. So hat man es im 14. Jahrhundert gemacht, um die Templer zu vernichten.  Wo also ist das wahre Vaterland eines jeden Menschen? Die Heimat, aus der jeder von uns nicht dem physischen Leibe nach, aber dem Ich nach stammt? Wo ist unsere wahre Herkunft? Nach R. Steiners „Geheimwissenschaft“ (GA 13) in dem Kap. „Die Weltentwicklung und der Mensch“: „In der Christus Vorstellung ist zunächst ein Ideal gegeben, das aller Sonderung entgegenwirkt, denn in dem Menschen, der den Christus Namen trägt, leben auch die Kräfte des hohen Sonnenwesens, in denen jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet.“ Dieser Gedanke ist die vollständige Überwindung des Rassismus, des Nationalismus, der Verliebtheit in die eigene Sprache und vieler anderer Sonderungen unter den Menschen. Wir müssen lernen, aus unserem Ich heraus zu denken und zu handeln und nicht aus der Herkunft unseres physischen Leibes. Novalis hat es so ausgesprochen:
Wo ich ihn nur habe Ist mein Vaterland Und es fällt mir jede Gabe Wie ein Erbteil in die Hand Längst vermisste Brüder Find ich nun in seinen Jüngern wieder. 
Friedwart Husemann, Uplengen (DE)

Freitag, 12. April 2019

Zur unsachgemässen Herausgabe von Rudolf Steiners Werk

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SKA Nr.8 und Rudolf Steiner Verlag 
Zur unsachgemässen Herausgabe           von Rudolf Steiners Werk 

Rudolf Steiner wollte sein Werk durch eine Freie Hochschule für Geisteswissenschaft herausgeben lassen, welche auch die Verantwortung für die Form der Veröffentlichung übernimmt. Dieses Werk kann nur sachgemäss von jemandem herausgegeben werden, der die Sache, um die es geht, aus ihr selbst heraus erarbeitet und versteht – und dazu gehört, dass er der Herausgabe nicht sachfremde Gesichtspunkte und Vorgehensweisen zugrunde legt.
Es ist klar, dass eine solche Herausgabe immense finanzielle Mittel erfordert, wie sie nur durch eine grosse Gesellschaft erbracht werden könnten. Eine Freie Hochschule für Geisteswissenschaft mit einem grossen Mitgliedervolumen haben wir – aber nicht den Willen zur Herausgabe des Werkes in der gekennzeichneten Form. Das war so nicht gemeint.
Eine kleine Stiftung wie die Rudolf Steiner Nachlass Stiftung beschränkt sich mangels Geldern verständlicherweise auf eine solide materielle Herausgabe des Gesamtwerks. Dass auch der neue Katalog der Gesamtausgabe die Edition von Christian Clement aufnimmt und diese damit damit so aussehen lässt, als würden Rudolf Steiners Werke von ihm in einer der Sache entsprechenden Weise herausgegeben, ist längst Gegenstand notwendiger Kritik geworden und diese sei hier ausdrücklich wiederholt. 
Die SKA nimmt erneut ihre editorische Praxis von einem sachfremden und damit für Rudolf Steiner und sein Werk nicht adäquaten Gesichtspunkt aus ein, davon erzählt die Schlussbemerkung in der aktuellen Rezension der Steiner Kritische Ausgabe Nr.8 in Die Drei von Andreas Neider:
M" it den vorliegenden beiden Bänden 8,1-2 der SKA hat Christian Clement neben der Aufsatzreihe ›Aus der AkashaChronik‹ Steiners zentrales Hauptwerk ›Die Geheimwissenschaft im Umriß‹ in der nunmehr bewährten Art kritisch bearbeitet und kommentiert herausgegeben. …
Insofern wäre auch zu wünschen, ... dass auch die anthropologischen Schriften der Jahre 1916/1721 und eben die ›Leitsätze‹ aus den Jahren 1924/25 in die wissenschaftliche Aufarbeitung des Steinerschen Werkes noch aufgenommen werden. …
Unverständlich bleibt bei aller Anerkennung der Clementschen Leistung, warum in Band 8.1 ein Vorwort von Wouter J. Hanegraaff eingefügt wurde, das … einen Verständnisansatz der Steiner‘schen Erkenntnismethode verfolgt, die schlichtweg unhaltbar und unsinnig ist. So will Hanegraaff zeigen, dass Steiners Anspruch einer auf Hellsichtigkeit beruhenden höheren Erkenntnis direkt mit einer bestimmten Tradition des Okkultismus zusammenhängt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jh. aus Amerika kam. Verlag und Herausgeber hätten hier besser daran getan, einen Autor mit diesem Vorwort zu betrauen, der nicht wieder in die wissenschaftlich überholten Denkmuster eines Zander zurückfällt, sondern sich auf der Höhe des mit der SKA durch Christian Clement neu gewonnenen philosophischen Verständnisansatzes bewegt.“
Wenn ein Verlag Werke Rudolf Steiners in einer die wissenschaftliche Welt ansprechen Weise herausgeben will, liegt die Notwendigkeit vor, diese Werke in einer der Sache gemässen Weise herauszugeben. Die Sache um die es dabei geht – man muss es leider immer wieder sagen – ist nicht die klassische Philologie, sondern die Wissenschaft Rudolf Steiners, also die Erweiterung des klassischen Wissenschaftsverständnisses, die in seinen Werken vorliegt. Die “Nobilitierung“ der Steiner-Ausgabe von Christian Clement durch deren Erscheinen im Katalog der Rudolf Steiner Gesamtausgabe dient, die Rezension von Andreas Neider macht das einmal mehr deutlich, nicht der Sache.