Nachlassverwaltung wohin? 2. Folge, Ostern 2015
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David Marc Hoffmann |
Arnold Sandhaus
„Die Mitglieder des Vereins der Nachlass-Verwaltung
haben darüber zu wachen, dass die Herausgabe
des Werkes von Rudolf Steiner nach Möglichkeit
und bestem Wissen und Gewissen in dessen Sinn
erfolgt.“ (aus: Übereignungsvertrag Marie Steiners)
"Kranker Instinkt"
Die Entwicklungen in der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung führten schon zu der
Zusammenarbeit mit dem Herausgeber der sgn. «Kritische Steiner Ausgabe». Jetzt führen sie auch zu einem Rechtsformwechsel der Nachlassverwaltung in eine Stiftung, wodurch die Mitglieder der Nachlassverein abgedankt werden, bzw. sich abdanken. «Nachlassverwaltung wohin?» («Ein Nachrichtenblatt» 22. März 2015, Nr. 6) widmete sich diesem Thema.
Nun erwähnte ich darin kurz die Aussage David Marc Hoffmanns, Rudolf Steiner hätte Jesus Christus als kranken Instinkt bezeichnet.1 Daraufhin bekam ich den Hinweis, dass Hoffmann bereits im Jahre 2000 ähnliches behauptete in einem in «Das Goetheanum» erschienenen Aufsatz2, und zwar mit dem gleichen angeblichen "Steiner-Zitat" als "Beweis".
So erscheint es mir jetzt doch notwendig tiefer auf dieses Thema, welches Hoffmann
immerhin seit bald 15 Jahre beschäftigt, einzugehen.
In «Rudolf Steiners Hadesfahrt ....» präsentiert Hoffmann die Sache wie folgt:
«...Und im Zusammenhang mit Nietzsche hat Steiner den Dualismus als krank bezeichnet: "Menschen mitkranken Instinkten haben die Scheidung von Geist und Körper vorgenommen. Ein kranker Instinkt nur kann sagen: mein Reich ist nicht von dieser Welt. Eines gesunden Instinktes Reich ist nur diese Welt."77
Dies ist eine Bezugnahme auf Jesu Antwort an Pontius Pilatus: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Joh 19.36).Steiners Aussage bezeichnet also mithin Jesus Christus als kranken Instinkt.»
Hoffmanns Behauptung formt den Abschluss der 4. Absatz, mit der Überschrift «Antichristentum in Anlehnung an Nietzsche». Liest man aber das Zitat Steiners in seinem Zusammenhang3 , dann stellt sich heraus, dass Rudolf Steiner an dieser Stelle nicht selbst spricht aber Nietzsche referiert. In dem ganzen 15. Absatz nimmt Steiner den Leser in Nietzsches Gedanken mit. Und wenige (6) Zeilen weiter, im 16. Absatz, fasst Steiner Nietzsches Gedanken abschließend zusammen, indem er sagt:
«Was für Ideale haben sie doch geschaffen, diese Verächter der Wirklichkeit! Fassen wir sie ins Auge, die Ideale der Asketen, die da sagen: wendet ab euren Blick vom Diesseits und schaut nach dem Jenseits! Was bedeuten asketische Ideale? Mit dieser Frage und den Vermutungen, mit denen er sie beantwortet, hat uns Nietzsche am tiefsten hineinblicken lassen in sein von der abendländischen neueren Kultur unbefriedigtes
Herz. («Genealogie der Moral», 3. Abhandlung.) »
Im Goetheanum Artikel «Rudolf Steiners Nietzsche-Begegnung ...» zieht Hoffmann den
gleichen Satz aus GA5 heran und folgert:
«Die Übereinstimmung mit Nietzsche ging so weit, daß Steiner in seinem Buch gar das Christuswort «Mein Reich ist nicht von dieser Welt» als Äußerung eines kranken Instinktes bezeichnet hat! »
Zwei Mal - dazwischen liegen 11 Jahre - stellt Hoffmann das gleiche als Rudolf Steiners
Zitat dar und führt uns hiermit in die Irre. Die Behauptung ist ihm so wichtig, dass er ihr in 2000 ein Ausrufezeichen hinzufügt, in 2011 bildet sie den Schlusssatz eines Kapitels; zwei Mal prominent dargestellt.
Jetzt stellen sich mehrere Fragen
Ist es möglich, dass David Marc Hoffmann, der die erweiterte Neuauflage von «Friedrich Nietzsche ein Kämpfer gegen seine Zeit» im Jahr 2000 selbst besorgte, nicht bemerkt hat, dass Steiner hier Nietzsche referiert? Kann es sein, dass ein erfahrener Philologe (man erinnere sich Hoffmanns strenger Handhabung der hermeneutischen Grundgesetze4) nicht bemerkt, wo ein Autor referiert oder wo dieser selbst spricht?Hat in der Zeit zwischen 2000 und 2011 niemand Hoffmann auf diesen Fehler hingewiesen? Ist ihm nicht aufgefallen, dass Steiner sogar die Quelle, nämlich «Genealogie der Moral, 3.Abhandlung» angibt? Jetzt, wo es sich nun wirklich um eine Quelle handelt (ich denke an der von Hoffmann hoch bewunderten Quellensuche Clements 5), hätte Hoffmann dies nicht bemerkt? Kennt er Nietzsches «Genealogie der Moral» nicht? Das ist eher unwahrscheinlich, denn Hoffmann, Präsident des Stiftungsrates des Nietzsche-Haus in Sils-Maria, gilt als Nietzsche-Kenner.Dann bliebe die zweite Möglichkeit, dass Hoffmann es wusste und es absichtlich so darstellte. Dann wäre seine Behauptung eine gewollte, bösartige Verleumdung Rudolf Steiners und damit eine äußerst merkwürdige Einleitung für seine Anstellung als Archivleiter des Rudolf Steiners Nachlassvereins. War es gar ein Test um zu sehen, ob es jemandem auffallen würde? Und keiner ist darüber gestolpert?Nein, es gibt bestimmt noch eine dritte Möglichkeit. Aber welche bloss?Die Sache ist wichtig genug, um Herrn Hoffmann hiermit dringend aufzufordern, sich hierzu öffentlich zu äußern.
Dornig
In der Zwischenzeit will ich mir noch die Frage stellen: Was treibt denn Hoffmann zu
diesem Thema? In einer kurzen Einleitung zum Goetheanumartikel schreibt er:
«Rudolf Steiners Nietzsche-Begegnung ist ein entscheidendes Kapitel in seiner Biographie. Vielleicht kann man sogar behaupten: Ohne Nietzsche keine Anthroposophie. Freilich ist das Thema derart dornig, daß es bisher weitgehend umschifft worden ist. Im Folgenden soll die zentrale Stellung von Nietzsches Philosophie
im Entstehungsprozess der Anthroposophie beleuchtet werden. »
"Dornig" sei also das Thema, Hoffmann weiss also, dass man es mit Feingefühl anfassen
sollte. Tut er das nun? Versucht er, der im Oktober 2012 Archivleiter der Rudolf Steiner
Nachlassverwaltung wird, einfühlsam der Leserschaft des «Goetheanum» Rudolf Steiners Begeisterung für Nietzsche verständlich zu machen? Versucht er liebevoll die Gründe des Mannes zu verstehen, dessen Nachlass jeden Tag sein Arbeitsfeld wird, und es teilweise schon war. Nein, das tut er nicht. Wohl wissend, dass für die kleinbürgerliche Seele (die Nietzsche so hasste), aber auch für die anthroposophische Seele, schon das Wort "Nietzsche" ein Dörnchen ist, wie auch die Worte "Antichrist", "Übermensch", "Gott nicht denkbar", "jede sittliche Weltenlenkung ablehnen", "an Gottes Stelle den freien Menschen", "ein Kämpfer für Nietzsche", "sich öffentlich vom Christentum lossagen". Alles Dornen, die ohne geduldige Erklärung sehr leicht falsch verstanden werden, und deswegen auch gerne von Journalisten aufgegriffen werden. Unerbittlich stapelt Hoffmann Beweis auf Beweis, Dorn um Dorn, so dass der Verdächtige (und auch der Leser als Jury) am Ende, stöhnend unter dieser Dornenkrone unmöglich abstreiten kann, dass er (Steiner) Nietzsche bedingungslos gelobt und geliebt habe. Einfühlsam zum Verständnis-Bringen ist nicht Hoffmanns Sache: Juristisch geht er vor. Und er ist von seiner eigenen Argumentation dermaßen eingenommen, dass er sich hinreißen lässt, stolz ein Hauptbeweisstück auf den Tisch zu legen, das keines ist.
An der Beweisaufnahme schließt Hoffmann dann die Spekulation, dass dies alles einen Sinn haben könnte im Verhältnis zu einer möglichen "Hadesfahrt" Steiners, die letztendlich zudem Neuen Jerusalem geführt hätte, denn "das Wohnen mit Gott im neuen Jerusalem" könne man als "ein visionäres Ziel der Anthroposophie" bezeichnen... Was soll man danoch sagen?
O Freude, o Bitternis
In «Mein Lebensgang» beschreibt Steiner mehrmals, wie schwer es war Verständnis zu
finden für die Entwicklungsnotwendigkeiten der Zeit. Und es kann den Leser verwundern, ja es kann ihn peinlich berühren, dass das Besondere, das Neue Rudolf Steiners so lange unbemerkt blieb, so sehr war die Welt eingeschlossen in Kleinmenschliches, Kleinbürgertum, Pflichtgefühl, kirchliche Moral usw. Inmitten dieser Dürre zeigt sich auf einmal ein Nietzsche, ein Mensch, der nicht aus Überlegung, sondern aus direktem Instinkt all das hasst und abweist, was den Menschen daran hindert, sich selbständig, individuell und frei zu entfalten. Und er tut dies so radikal, dass er daran zugrunde geht; auch diese Seite Nietzsches erlebt und beschreibt Steiner eindrucksvoll. Aber die Modernität Nietzsches war ihm wie ein Leuchtpunkt.
Dies alles scheint weit, weit entfernt von Hoffmanns Erlebniswelt: sogar Steiners Aussage «Denn Friedrich Nietzsche ist der modernste Geist, den wir haben.» klingt im "Munde" Hoffmanns - wiederum als Abschluss eines Absatzes - wie die Feststellung einer Straftat. "Ich möchte jeden Menschen aus des Kosmos Geist entzünden, dass er Flamme werde und feurig seines Wesens Wesen entfalte [...] O Bitternis, wenn das Menschending gebunden wird da wo er regsam sein möchte." 6 Aus diesem Gebundensein wollte Nietzsche sich rücksichtslos befreien; das hat Steiner erkannt.
Dies nun umzukehren und zu behaupten "Ohne Nietzsche keine Anthroposophie" ist einfach lächerlich. Ein solcher Gedanke kann nur entstehen in der Seele eines Philisters, der weder dieses Feuer, noch dieses Gebundensein selbst erlebt hat, und der weder für Friedrich Nietzsche, noch für Rudolf Steiner wirkliche Begeisterung empfindet.
Karwoche 2015
1 D.M. Hoffmann, «Rudolf Steiners Hadesfahrt und Damaskuserlebnis. Vom Goetheanismus, Individualismus, Nietzscheanismus, Anarchismus und Antichristentum zur Anthroposophie» in: R. Uhlenhoff, Anthroposophie in Geschichte und Gegenwart, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2011.
2 D.M. Hoffmann, «Rudolf Steiners Nietzsche-Begegnung und die Geburt der Anthroposophie. Zu FriedrichNietzsches 100. Todestag am 25. August.» Das Goetheanum. Wochenschrift für Anthroposophie, vom 3. Sept. 2000, Nr. 36.
3 Fußnote 77 verweist auf «Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit», GA5, Kapitel DerÜbermensch, Ende des 15. Absatzes
4 Siehe A. Sandhaus, «Nachlassverwaltung wohin?» Ein Nachrichtenblatt 2015-65 Vergl. A. Sandhaus, «Das Quellenwunder» Die SKA im Lichte der Selbsterziehung. Der Europäer, März2015, Nr. 56 Rudolf Steiner, «Wahrspruchworte» GA40, Notizblatt 1925.
Ueber Hadesfahrt und Damaskuserlebnis Steiners in ein ganz anderes Perspektiv , empfehlenswert naechstes Buch:
September 1900. Das "Gestanden-Haben vor dem Mysterium von Golgatha" im Lebensgang Rudolf Steiners - Malte Diekmann
Bevor Rudolf Steiner sein Wirken als großer Geisteslehrer unserer Zeit beginnen konnte, mußte er in innerster geistiger Anteilnahme vor dem Mysterium von Tod und Auferstehung Christi zur Zeitenwende gestanden haben. Umstände und Hintergründe der Christus-Begegnung sind Thema dieser Schrift. Erstmals wird darin auch eine genauere zeitliche Einordnung gegeben - ein wichtiger Baustein für das Verständnis der inneren Entwicklung und der Lebensaufgabe Rudolf Steiners.